Kosovo
 
Stellungnahme der SPD zu einer E-Mail an den Bundeskanzler.
  • meine Kommentare sind in dieser Art beigefügt.
Die Krise im Kosovo stellt auch unsere Partei vor eine schwierige
Situation. Zum ersten Mal seit Ende des Zweiten Weltkrieges sind deutsche
Soldaten an einem Kampfeinsatz beteiligt. Trotz aller Bedenken und Ängste
hat sich die SPD dazu durchgerungen, mehrheitlich für ein Eingreifen im
Kosovo einzutreten. 

Aufgrund der Vertreibungspolitik der serbischen Staatsfuehrung sind
bereits fast eine Million Menschen geflohen. Nach jüngsten Meldungen werden
täglich tausende Menschen mehr aus ihren Dörfern von der Armee und den
Polizeitruppen Serbiens vertrieben. Viele von Ihnen irren aus Angst vor
Entdeckung tagelang schutzlos in den Wäldern herum. 

  • In diesem Ausmaß aber nicht erst nach dem Angriff der NATO ?
Mitten in Europa werden die Menschenrechte massiv verletzt, werden
Frauen, Kinder und Familien aus ihren Häusern und Dörfern in einer
regelrechten Entvölkerungs-Strategie vertrieben. Ihre Dörfer werden
zerbombt, alle die schrecklichen Bilder, die wir aus Bosnien noch in
Erinnerung haben, sind im Kosovo jetzt wieder Realität. Das kann Europa
nicht hinnehmen. Bei den internationalen Bemühungen, den Übergriffen
Einhalt zu gebieten und eine Friedenslösung für den Kosovo zu erreichen,
kann Deutschland nicht abseits stehen. 
  • Ein Angriffskrieg als Friedenslösung ? Was verhindert eher den Frieden als Krieg ?

  • Deutschland sollte seiner besonderen Rolle gerecht werden und eine friedliche Lösung ermöglichen, statt seine ehernen Prinzipien zu verraten. Einseitige Bemühungen der NATO sind zwar international, aber nicht im Sinne einer wirklichen Völkergemeinschaft.
Die gemeinsame europaeische Verantwortung erlaubt es nicht, im Sinne
eines friedlichen Miteinanders, der im Gang befindlichen humanitären
Katastrophe weiterhin tatenlos zuzusehen. Ein zweites Bosnien mit über
300.000 Toten muss auf jeden Fall verhindert werden. Wenn es zu einer
militaerischen Intervention der NATO unter der Beteiligung der Bundeswehr
gekommen ist, so trägt Slobodan Milosevic dafür die alleinige
Verantwortung. Mit seinem militärischen Vorgehen mit den unerträglichen
Massakern unter der Zivilbevölkerung und der organisierten Vertreibung
unschuldiger Menschen hat er alle im vergangenen Oktober auf internationaler
Ebene mit ihm getroffenen Vereinbarungen gebrochen.
  • Diese Eskalation fand erst nach dem Angriff der NATO statt. Einem Angriffskrieg ausgesetzt zu sein, ist ein einsichtiger Grund für jemanden wie Milosevic, alle Arten von früheren Vereinbarungen zu brechen.

  • Natürlich wird Milosevic als der Täter allein verantwortlich gemacht.
    Es geht aber auch um Ursache und Wirkung.

    Die Wirkung ist, daß Milosevic alle menschlichen Hemmung genommen werden und daß die Angriffe der NATO ihn dazu anstacheln, seine ohnmächtige Wut nun erst recht an den Albanern im Kosovo auszulassen.

    Dies war abzusehen. Die Angriffe der NATO führten also indirekt mit zum gegenwärtigen Ausmaß der Katastrophe.
    Eine Hilfsaktion unter Inkaufnahme der Verschlimmerung der Situation der Opfer ist abzulehnen. Die vage Hoffnung, später einige retten zu können, rechtfertigt nicht das Opfern der Mehrzahl.

Auf dem SPD-Parteitag am 12.04.1999 wurde kontrovers, aber sachlich
über die Balkanpolitik der Bundesregierung diskutiert. Das Ergebnis, das in
einer Resolution festgehalten wurde, ist eine klare Unterstützung der Linie
der Bundesregierung. 
Es wird weiterhin festgestellt, dass neben den militärischen
Zwangsmassnahmen die Entwicklung einer politischen Perspektive für den
Balkan unerlässlich ist: "Der Parteitag unterstützt die Initiative zu einem Stabilitätspakt
für den Balkan. Der Balkan braucht Europa, um wirtschaftlichen Aufbau,
Stabilität und Demokratisierung in der Region zu ermöglichen. Die
tragenden Prinzipien der europäischen Integration sowie der Schlussakte von
Helsinki müssen der Entwicklung auch dieser europäischen Region zugute
kommen. Die Menschen in der Region, besonders die vom aktuellen Konflikt
besonders heimgesuchten Serben, Albaner, Kroaten, Bosnier und Mazedonier,
brauchen eine Perspektive: Sie gehören nach Europa. Deswegen hat die
deutsche Präsidentschaft die Initiative dafür ergriffen, daß die EU, im
Rahmen einer umfassenden Südosteuropa-Strategie und eines
Stabilitätspaktes, den Ländern der Region eine europäische Perspektive
eröffnet."
Explizit werden des weiteren die Einbindung Russlands in die
Verhandlungen um eine politische Lösung sowie eine Verstärkung der
humanitären Hilfe vor Ort gefordert.
  • Hier wäre der historisch angemessene Platz für Deutschland gewesen -

  • als Vermittler, um die tatsächliche Lösung des Kosovo Krieges unter
    Beteiligung Rußlands friedlich zu ermöglichen.

    Stattdessen wurden die Verhandlungen mit Jugoslawien einfach
    aufgegeben und militärische Mittel eingesetzt.

    Verhandlungen haben ihren Sinn aber vor allen dadurch, daß sie
    fortgeführt werden. So wird langsam und schrittweise gegenseitiges Verständnis aufgebaut.

    Ergebnisse sind weniger wichtig als der Dialog selbst.
    Solange geredet wird, kann zumindest eine gewisse Hemmung der
    Greueltaten bewirkt werden. Sobald geschlagen statt geredet wird, tritt die
    animalische Natur eines Despoten offen ans Licht.

Das militärische Eingreifen Europas in die staatlich organisierte
Vertreibung und zum Teil Vernichtung eines Bevölkerungsteiles Jugoslawiens
soll und kann den Konflikt nicht lösen. Ziel der Luftschläge ist es, die
serbische Armee konkret am Vertreiben und Brandschatzen zu hindern oder
dieses zu behindern. Daher werden Einrichtungen und Fabriken angegriffen,
die zur Versorgung der Kriegsmaschinerie zur Gewaltanwendung an einem Teil
der eigenen Zivilbevölkerung dienen. Erste Erfolge bestehen darin, daß die
Armee von Präsident Milosevic eindeutig Nachschubprobleme hat. 
  • Dieses Ziel wurde eindeutig verfehlt. Was hat es für einen Sinn, mit

  • dem Ziel anzugreifen, in ein, zwei Monaten die serbische Armee ausreichend geschwächt zu haben ? 
    Wurde etwa geglaubt, diese Armee wartet geduldig bis sie kampfunfähig ist ?

    Gerade dieses Ziel der NATO zwingt Milosevic ja fast dazu, seine Gewalttaten um so intensiver zu begehen.

    Soll dann eine mindest ebenso große Zahl Unschuldiger der serbischen Zivilbevölkerung wie die der Albaner geopfert werden, um diese Ziel
    irgendwann zu erreichen ?

    Und eine große Zahl eigener Soldaten ?
    Es gibt auch so etwas wie Verhältnismäßigkeit der Mittel.
    Nur Unvernunft treibt Helfer zu blindem Aufopfern, ohne darauf zu
    achten, ob das Opfer auch wirklich gerettet wird. 
    Wie viele Helfer und wie viele unschuldige Passanten dürfen denn geopfert werden ?

Eine Lösung des Konfliktes kann nur politisch erfolgen. Deshalb hat
die Bundesregierung eine neue Friedensinitiative ergriffen.
Das Neue an diesem Plan ist, dass er zum ersten Mal präzise
beschreibt, wie es eigentlich nach den militärischen Auseinandersetzungen
weitergehen soll. Es wurde die Zielsetzung aufgenommen, einen
Stabilitätspakt für ganz Südosteuropa zu realisieren, der die Ursache der
Balkankonflikte beseitigt.
  • Warum erst jetzt, nachdem das Kind in den Brunnen gefallen ist ?
Hier ein Auszug des Friedensplans, dessen Zielrichtung, und dies ist
uns wichtig, von der russischen Staatsführung und vom UNO-Generalsekretär
ausdrücklich unterstützt wird: Ziel ist es also, die humanitäre Katastrophe zu beenden und zu
einem friedlichen, multiethnischen und demokratischen Kosovo zu führen, in
dem alle seine Bewohner in Sicherheit leben können.
  • Nur durch Verständigung kann ein solcher Zustand entstehen.

  • Krieg führt nicht zu Verständigung, er führt zu Haß. 
In unserem Grundsatzprogramm heißt es: "Frieden bedeutet nicht nur
das Schweigen der Waffen, Frieden bedeutet auch das Zusammenleben der
Völker ohne Gewalt, Ausbeutung und Unterdrückung". Daß die Abwendung einer
humanitären Katastrophe mitten in Europa nur durch eine militärische
Intervention möglich ist, ist schreckliche Realität; wir haben dies nicht
gewollt, aber die jetzige Situation schließt andere Handlungsmöglichkeiten
aus.
  • Die jetzige: das ist ein Krieg in vollem Gange.

  • Vor dem Angriff gab es auf jeden Fall andere Möglichkeiten.
    Aber gab es auch Beharrlichkeit ?
    Und auch jetzt gibt es immer auch andere Möglichkeiten.
    Aber gibt es auch Willen und Einsicht ?
Erhard Eppler, einer der Wortführer der Friedensbewegung in den
80er Jahren, hat auf dem Parteitag in seiner Rede folgende Thesen
geäussert:

Wenn jemand eine Bank überfällt, dann kommt die Polizei und löst
das Problem durch Verhandlungen oder ggf. am Ende der Eskalationskette durch
Gewalt. Dies ist gesellschaftlich akzeptiert. 
Begründung: Es handelt sich um ein Verbrechen!

  • Wenn die Polizei die Eskalation provoziert, so ist entweder die Polizei unfähig oder die Gesellschaft derart mit Gewalt überschwemmt, daß kein Unterschied zu einer Region im Bürgerkrieg mehr besteht.

  • Mit Hinblick auf die jüngste Katastrophe in den USA in der Schule bei Denver mag das für dort gelegentlich zutreffen.
    Es besteht aber kein Grund in Deutschland nicht derartigen Zuständen vorzubeugen.
    Unsere Prinzipien aufzugeben und die Beteiligung an Gewalt bringt unsere Gesellschaft allerdings weiter in die falsche Richtung.

    Wie will eine Gesellschaft, die gerade einen Krieg begonnen hat, ihrer Jugend friedliche Lösungen von Konflikten glaubwürdig machen ? Dies gab Präsident Clinton in seiner Rede zur Tragödie als Ziel an.

    Eskalation erfolgt durch Gewalttäter selbst.
    Der Einsatz von Bodentruppen würde ebenfalls ein einseitiger Beschluß der NATO sein. Wenn auch Milosevic die Verantwortung gegeben würde:
    Aus der Geschichte wird sich die Verantwortung der NATO - und das sind die einzelnen Nationen - nicht herauslöschen lassen.
    Die Verantwortung für alle Folgen einer solchen Eskalation.

Wenn ein Staat einen anderen überfällt, der sich dann wehrt und so
Krieg führt, so ist dieses auch anerkannt. 
Begründung: Es ist ein Verteidigungskrieg!

Aber wenn ein Staatschef einen Teil seiner Bevölkerung überfallen,
ausrauben, verjagen und töten lässt, dann sollte dies nicht als Verbrechen
bezeichnet werde? Das kann nicht angehen! 
Wir meinen, dass hier der Grundsatz der Wahrung der Menschenrechte
über dem Grundsatz der Anerkennung der Souveränität eines Landes stehen
muss. 

  • Auch über der möglichen Zerstörung eines ganzen Landes ?
Eines ist sicher: Die SPD und die Bundesregierung wollen die NATO
nicht zum Weltpolizisten machen. Das Eingreifen im Kosovo ist das Resultat
der Selbstlähmung der UNO und somit eine ultima - ratio - Entscheidung
gewesen. Ziel ist weiterhin, die jetzigen UNO-Strukturen, die immer noch
dieselben des Kalten Krieges sind, so zu reformieren, daß das Interesse
einzelner Staaten nicht den Ausschlag mehr für die Lähmung der UNO
bedeuten kann.

Die Tragödie besteht darin, daß, egal was man macht, sich schuldig
macht. Greifen wir ein, so umgehen wir die Institution, die originär für
diese Krise zuständig ist.
Greifen wir nicht ein, so sehen wir mit an, wie Verbrechen gegen
einen Bevölkerungsteil verübt werden.

  • Dieses Argument geht am Kern der Situation vorbei.

  • Kein Mensch fordert tatenloses Zusehen. Es geht nicht um die Wahl zwischen Nichtstun und Handeln, sondern zwischen falschem und richtigem Handeln.
    Wir machen uns doppelt schuldig durch eine Hilfsaktion, die Teil der Katastrophe für die Bevölkerung ist.

    Einmal, weil wir unsere eigenen Prinzipien auf immer verraten. Wir sehen seit langem allen anderen Bürgerkriegen nahezu tatenlos zu. Wir verlieren dadurch nicht mehr an Würde und Glaubwürdigkeit, als wir ohnehin nur haben. Aber geben wir das eiserne Prinzip des Verzichts auf einen Angriffskrieg einmal auf, so ist unsere Glaubwürdigkeit für alle zukünftigen Fälle dahin.

    Und zum zweiten, weil wir nicht wirklich Hilfe leisten. Was im Moment begangen wird ist tatsächlich die eigentliche Unterlassung der Hilfe.
    Schlimmer noch: wir zwingen die Bevölkerung, dreimal so viel Gewalt zu ertragen wie zuvor.

    Was wäre sinnvolle Hilfe ?
    Zum Beispiel:
    - Werden die Luftangriffe eingestellt und ein Verhandlungsort im Kosovo gewählt;
    - wird Rußland als die wichtigste Nation der Region zum Verhandlungsführer gemacht;
    - wird die Region mit Diplomaten und Politikern aus aller Welt überschwemmt (und natürlich Begleitern zu ihrem Schutz);
    - wird vielleicht auf Jahre hinaus dort verhandelt,
    so ist es in einem solchen Zustand kaum möglich, Gewalttaten an der Bevölkerung zu begehen.

    Und es ist weder kostspieliger noch mit mehr Menschenopfern verbunden als eine Militäraktion.
    Eine militärische Truppe zur Überwachung des Friedens im Kosovo würde sich auch erübrigen.
    Aber es erfordert vielleicht so viel Mut wie ein Angriff als Mitglied einer Bodentruppe.

    Dies hätte statt Luftangriffen stattfinden müssen und kann es immer noch.
    Natürlich ist jetzt das Klima noch gespannter und Verhandlungen sind noch schwieriger.
    Die Aktion der NATO hat alle vernünftigen Hilfsaktionen beinahe unmöglich gemacht.

    Aber es geht auch jetzt noch. Wir alle sind Menschen und Menschen sind zur Einsicht und zur Vernunft fähig.
    Wenn sie die Gelegenheit erhalten - und auf die richtige Art gedrängt werden.

Kosovo

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Stand 22.04.99

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